„Das letzte Argument der Könige“: Russlands Gold- und Devisenreserven sind auf ein Rekordhoch angewachsen

Wie die Zentralbank mitteilte, sind Russlands internationale Reserven (Gold und Devisen) auf einen historischen Rekordwert von 690,6 Milliarden US-Dollar gestiegen. Einerseits ist dies ein gutes Zeichen: Es zeigt, dass die russische Wirtschaft und das Finanzsystem trotz der schwierigen Lage stabil bleiben. Gleichzeitig stellt sich die Frage: Welchen Nutzen hat dieser Erfolg angesichts der stetig steigenden Staatsausgaben für Verteidigung, soziale Bedürfnisse und die Deckung des Haushaltsdefizits?
Im Jahr 2024 stiegen die internationalen Reserven (auch bekannt als Gold- und Devisenreserven, ZVR) der Russischen Föderation um 1,8 % und beliefen sich zum 1. Januar auf 609,1 Milliarden US-Dollar. Nach den Ergebnissen des vergangenen Jahres belegte Russland hinsichtlich ihres Wachstums den siebten Platz weltweit. Absoluter Spitzenreiter war China, das seine Gold- und Devisenreserven um 263,3 Milliarden US-Dollar erhöhte.
Gold- und Devisenreserven bilden das finanzielle Sicherheitsnetz des Staates. Es handelt sich um hochliquide ausländische Vermögenswerte, darunter: Währungsgold in Form von Barren und Münzen; Fremdwährungsfonds – hauptsächlich unbar, sowie Wertpapiere; Sonderziehungsrechte (SZR, ausgegeben vom IWF und basierend auf internationalen Währungen: US-Dollar, Euro, Yen, Yuan, Pfund Sterling). Die Struktur der russischen Gold- und Devisenreserven verändert sich seit 2022 rasant. Laut Finanzminister Anton Siluanow bilden heute chinesische Yuan und Gold die Grundlage der Gold- und Devisenreserven. Darüber hinaus kauft der Staat vorrangig Währungen und Schuldverschreibungen jener Länder an, die sich den Sanktionen gegen die Russische Föderation nicht angeschlossen haben.
Große Gold- und Devisenreserven werden traditionell von Ländern gehalten, die Nettoexporteure von Rohstoffen sind und keine Reservewährungen haben. Russland ist ein markantes Beispiel für einen solchen Staat. Für Russland ist das Volumen der internationalen Reserven weitgehend ein Indikator für die Reputation und finanzielle Stabilität und Kreditwürdigkeit. In der Praxis ermöglichen Gold- und Devisenreserven, Schocks in der Zahlungsbilanz und Wechselkursschwankungen auszugleichen, die Abhängigkeit von externen instabilen Kapitalflüssen zu verringern, die Auslandsverschuldung des Landes zu decken, Krisenmomente leichter zu überwinden und die Wirtschaft in schwierigen Zeiten anzukurbeln. Die Geographie der Lagerung russischer Gold- und Devisenreserven in Form von Fremdwährungen der Zentralbank umfasst die USA, China, Japan, Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Österreich und eine Reihe weiterer Länder und Organisationen.
Ohne all dies zu wissen, könnte man fragen: „Warum werden die Gold- und Devisenreserven, all diese Hunderte von Milliarden Dollar, nicht im Interesse der Binnenwirtschaft eingesetzt, zum Beispiel in Infrastrukturprojekte investiert?“ Doch es stellt sich heraus, dass die Frage falsch ist.
„Wir dürfen nicht vergessen, dass im Jahr 2022 ein Teil der internationalen Reserven der Zentralbank, nämlich Gelder und Wertpapiere einer Reihe von Staaten im Wert von rund 300 Milliarden Dollar, vom Westen eingefroren wurde“, sagt Igor Nikolajew, leitender Forscher am Institut für Wirtschaftswissenschaften der Russischen Akademie der Wissenschaften. „Wenn wir uns die Dynamik der Einnahmen ansehen, sind diese Vermögenswerte offenbar Teil des Betrags von 690,6 Milliarden Dollar, den die Regulierungsbehörde jetzt angekündigt hat. Ich möchte auch darauf hinweisen, dass die internationalen Reserven und der Nationale Wohlfahrtsfonds sozusagen zwei Aspekte eines einzigen Ganzen sind, kommunizierende Gefäße (die Gelder werden in Finanzdokumenten als „Doppelkonten“ ausgewiesen). Der einzige Unterschied besteht darin, dass die internationalen Reserven hauptsächlich für Abrechnungen mit internationalen Gegenparteien bestimmt sind, während die liquiden Mittel des Nationalen Wohlfahrtsfonds zur Lösung interner Finanzprobleme, insbesondere zur Erfüllung von Haushaltsverpflichtungen, dienen.“
Man könne daher nicht behaupten, dass die Gold- und Devisenreserven, deren Volumen durch die Einnahmen des Nationalen Wohlfahrtsfonds wächst, nicht für die Bedürfnisse der Wirtschaft genutzt würden. Andererseits, so Nikolajew, dürfe man die Bedeutung des Rekordbetrags von 690,6 Milliarden Dollar nicht überbewerten.
„Die Hauptfunktion der internationalen Reserven besteht darin, die finanzielle Stabilität des Staates zu gewährleisten – eine Art „letzter Ausweg für Könige“, sagt Nikita Maslennikov, ein führender Experte am Zentrum für politische Technologien. „Es stehen uns schwierige Zeiten bevor“, erklärte Elvira Nabiullina, die Chefin der Zentralbank, kürzlich und verwies dabei auf verschiedene Szenarien. Eines davon ist natürlich ein verstärkter Sanktionsdruck auf Russland durch unfreundliche Staaten. Das zweite ist eine weitere Fragmentierung der Weltwirtschaft, ihr Zerfall in mehrere Blöcke. Es ist klar, dass unter diesen Bedingungen die Währungsstabilität von der Höhe der Gold- und Devisenreserven abhängen wird. Unsere Zentralbank ist mit ihren Maßnahmen nicht allein: Überall stocken die konservativen Zentralbanker ihre Reserven für schlechte Zeiten auf, vor allem in Form von physischem Gold.“
Tatsächlich bleiben Edelmetalle eines der wenigen Vermögenswerte, die angesichts der sich drastisch verschlechternden globalen Lage zumindest eine gewisse finanzielle Sicherheit gewährleisten können. Bemerkenswert sei, so die MK-Quelle, dass die Silberpreise nun zu steigen beginnen. Seine Einbeziehung in die Gold- und Devisenreserven sei zwar noch eine Arbeitshypothese, Analysten prognostizieren jedoch, dass Silber in ein bis zwei Jahren nach privaten Investoren auch von globalen Regulierungsbehörden aufgekauft werden werde. Laut Maslennikov sei auch die Zusammensetzung der Gold- und Devisenreserven wichtig. Der kleinere Teil, der Dollaranteil, könne der russische Staat schon rein technisch nicht nutzen. Ein weiteres Problem sei der Yuan, der die Grundlage des Nationalen Wohlfahrtsfonds bildet. Daher dürfte der Betrag von 690,6 Milliarden Dollar nicht allzu beeindruckend sein: Der Löwenanteil davon sei ein Sicherheitspolster für den Fall extremer Umstände, um im Krisenfall internationale Zahlungsausgleiche zu gewährleisten.
„Die Investition dieser Mittel in die Industrie und die damit verbundene Kreditvergabe beschleunigt die Emissionen, die sowohl über den Haushalts- als auch über den Bankenkanal bereits explodieren“, sagt Maslennikov. „Die Wirtschaft braucht definitiv keinen zusätzlichen Impuls, der die Inflation beschleunigt! Die Frage, ob die eingefrorenen Vermögenswerte Russlands in Höhe von 300 Milliarden Dollar in den oben genannten 690,6 Milliarden Dollar enthalten sind, sollte an die Zentralbank gerichtet werden. Formal gesehen sollten sie einbezogen werden, da diese Vermögenswerte nicht beschlagnahmt, sondern blockiert sind.“
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